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Nordfrieslandlexikon
Utlandfriesisches Haus

Utlandfriesisches Haus Mit dem Begriff Friesenhaus wird in der Regel das utlandfriesische Haus verbunden. Im ursprünglichen Stil handelt es sich um Langhäuser. Sie sind auffallend schmal und niedrig, mit geringen Wandhöhen und entsprechend tiefer Dachtraufe. Vermutlich ist ein bereits in der Bronzezeit nachgewiesenes dreischiffiges Wohnstallhaus die Urform. Entwickelt wurde das Langhaus in der flachen Marsch von Menschen, deren Lebensunterhalt vornehmlich in der Viehhaltung und weniger im Ackerbau lag. Die schmale Giebelseite war zumeist gen Westen gerichtet, um einen hohen Windschutz zu erreichen.

Der wichtigste Aspekt beim Hausbau auf den Inseln und Halligen war der Schutz vor Sturmfluten. So ist dieser Haustyp auf einer frei stehenden Ständerkonstruktion aufgebaut, auf der die Deckenbalken lasten, die wiederum die Dachsparren tragen. Darauf ruht das mit Reet gedeckte Dach. Den Raum zwischen zwei Ständern, der je nach Nutzungsart zwischen etwa zwei und maximal fünf Metern beträgt, nennt man Fach. Die locker eingefügten Außenwände bestanden aus Lehm, Holzbohlen oder Grassoden, ab dem 17. Jahrhundert vorwiegend aus Ziegelsteinen. Sie hatten keine tragende Funktion. Sollten sie unterspült werden, blieb das Haus zumindest in seinen Grundfesten erhalten. Der Bodenraum unter dem Reetdach bot dann den Hausbewohnern einen letzten sicheren Zufluchtsort. Sonst diente er als trockener Stauraum für Stroh, Heu und Brennmaterial. Da die innere Ständerkonstruktion höher reichte als die Außenwände, ergab sich hier eine abseitenähnliche Deckenschräge, die Katschor. Die letzten Häuser dieses Typs wurden vor 1800, zuletzt ohne Ständergerüst, gebaut. Stärkere Außenwände trugen nun den Dachstuhl. Der überlieferte Grundriss wurde beibehalten.

Ursprünglich war das Haus ein einzelliger Bau ohne Schornstein. Der Wohnteil nach städtischem Vorbild wurde erst verhältnismäßig spät im ländlichen Wohnbau eingeführt. Dies geht auch daraus hervor, dass die Namen aller Wohnräume Lehnwörter sind. In der Mitte verlief quer durch das Haus ein schmaler, mit Sandsteinplatten ausgelegter Flur. Er trennte den Wirtschaftsteil vom Wohnteil und bildete die Luft- und Lichtschleuse des Hauses. Ab dem 18. Jahrhundert sorgte ein Spitzgiebel über der Haustür für einen freien Fluchtweg aus dem Haus, wenn z. B. brennendes Reet vom Dach zu rutschen drohte. Während die Haustür häufig das prunkvollste Detail des Hauses darstellte, war die Gartentür auf der Gegenseite, die „Klöntür“, meist horizontal zweigeteilt. Rings um das Haus verlief eine Steinbrücke, die vom Dach heruntertropfendes Wasser in den Garten weiterleitete. Die Steine wurden zumeist von den Feldern abgesammelt. Häufig war das Grundstück mit einem bepflanzten Steinwall deichähnlich umgeben und wirkte so wie eine kleine Burg in der flachen Landschaft.

Den Wohnbereich bildete die Küche mit offener Feuerstelle, Backofen und Nebenherd. Angrenzend lag eine Speisekammer, außerdem gab es einen Zugang zum meist niedrigen Kriechkeller. Darüber befanden sich die Kellerstube und daneben die gute Stube, der Piisel. Von diesem gelangte man in die Döns, die neben der Küche liegende und mit einem Bilegger beheizbare Wohnstube. In die Wände eingelassen waren Wandschränke sowie mehrere Schlafstellen, die Alkoven.

Betrat man vom Flur den Wirtschaftsteil, so gelangte man einerseits in die Kammer für Knecht oder Magd, andererseits in die Dreschtenne. Dahinter erstreckte sich über die gesamte Breite der Stallbereich. Die Kühe standen mit dem Kopf zu der einen Längswand, Pferde, falls vorhanden, zur anderen. Schweine wurden in Buchten gehalten.

Als in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Fremdenverkehr stark an Bedeutung gewann, änderte sich das Bild vieler Häuser. Heuböden und Dachgeschosse wurden zu Ferienzimmern und Zweitwohnungen ausgebaut, die Dächer erhielten oft Gauben mit Fenstern. Öffentlich zugänglich ist das Museum Altfriesisches Haus in Keitum. Das Haus des Kieler Walfangkommandeurs Lorens Petersen de Hahn (1668–1747) von 1699 befindet sich im Schleswig-Holsteinischen Freilichtmuseum Molfsee bei Kiel.

Seinen Besuch in einem utlandfriesischen Haus schilderte der Schriftsteller Kurt Lothar Tank (1910–1978) in seinem Tagebuch „Sylter Sommer“ mit folgenden Worten:
„Es ist ein schönes altes Friesenhaus Sylter Bauart, lang und schmal, einstöckig, mit niedrigen Decken, kachelbekleideten Wänden und Schrankbetten. Der Hauptflügel, das Wohnhaus, hat einen hübschen nach Süden gekehrten Giebel, und das Giebelzimmer, ein kleiner Raum mit schräggrauen Holzwänden, ist das Atelier des Professors. Wir sehen uns um. Auch hier gibt es eines jener hohen, in die Wand gebauten Betten. Man benutzt eine kleine Holzbank, um hineinzugelangen. Es sieht gemütlich und zugleich ein bißchen gruselig aus, erinnert an Sargnischen in den Katakomben, an ägyptische Totenkammern, und die merkwürdige, von einigen Chronisten mit Verwunderung verzeichnete Tatsache, daß in den Seelen der Sylter, neben den christlichen Gedanken, ja stärker als diese, die Vorstellungen der Seelenwanderung lebendig seien, dieses seltsame Faktum wird mir, während ich den Bettschrank betrachte, plötzlich verständlich. Sie sprechen hier nicht von Zimmern oder Räumen. Sie sagen, ein Haus habe acht oder zehn oder zwölf Fach. Und ein Fach im Fach ist das Bett, darin liegt der Mensch, und nebenan muhen die Kühe. So schließt sich der magische Kreis um alle Kreaturen des Hauses.“


Hans Jessel 1990b, Johannsen 1996 u. 1999, Kühnast 2000c, Köster-Lösche/Lösche 1989 u. 1994, Newig 1974a, Quedens 1988, Rinken 1992, Tank 1986, Wolf 1940.