Pidder Lüng verkörpert den Freiheitsdrang der Sylter gegenüber der dänischen Obrigkeit. Der Hörnumer Fischer ist jedoch eine von dem Chronisten Christian Peter Hansen (1803–1879) erfundene Figur. Er benutzte sie, um in Zeiten heftiger deutsch-dänischer Auseinandersetzungen die „echten“ Sylter Friesen des Mittelalters, die immer schon Gegner der Dänen gewesen sein sollen, von den „neuen, unechten“ Friesen zu unterscheiden. Pidder Lüng soll laut Hansens Erzählung im 15. Jahrhundert Henning Pogwisch, den arrogant und herrisch auftretenden Sohn des Tonderner Amtmannes, im heißen Grünkohl erstickt haben. Er floh nach seiner Tat und verschrieb sich der Seeräuberei. 1515 soll er dafür in Keitum am Galgen hingerichtet worden sein. Der Dichter Detlev von Liliencron (1844–1909) schuf aus dem Stoff 1891 das Heldenepos „Pidder Lüng“. In Westerland und Hörnum erinnern Straßennamen an die Geschichte.
Hansen 1858a, von Liliencron 1964, Panten 2001d, Wedemeyer 1988.
Der Amtmann von Tondern, Henning Pogwisch,
Schlägt mit der Faust auf den Eichentisch:
Heut fahr' ich selbst hinüber nach Sylt
Und hol' mir mit eigner Hand Zins und Gült.
Und kann ich die Abgaben der Fischer nicht fassen,
Sollen sie Nasen und Ohren lassen,
Und ich höhn' ihrem Wort:
Lewwer duad üs Slaav.“
Im Schiff vorn der Ritter, panzerbewehrt,
Stützt finster sich auf sein langes Schwert.
Hinter ihm, von der hohen Geistlichkeit,
Steht Jürgen, der Priester, beflissen, bereit.
Er reibt sich die Hände, er bückt den Nacken.
Der Obrigkeit helf' ich, die Frevler zu packen,
In den Pfuhl das Wort:
Lewwer duad üs Slaav.
Für Hörnum hat die Prunkbarke den Schnabel gewetzt,
Ihr folgen die Ewer, kriegsvolkbesetzt.
Und es knirschen die Kiele auf den Sand,
Und der Ritter, der Priester springen ans Land,
Und waffenrasselnd hinter den beiden
Entreißen die Söldner die Klingen den Scheiden.
Nun gilt es, Friesen:
Lewwer duad üs Slaav!
Die Knechte umzingeln das erste Haus,
Pidder Lüng schaut verwundert zum Fenster hinaus.
Der Ritter, der Priester treten allein
Über die ärmliche Schwelle hinein.
Des langen Peters starkzählige Sippe
Sitzt grad an der kargen Mittagskrippe.
Jetzt zeige dich, Pidder:
Lewwer duad üs Slaav!
Der Ritter verneigt sich mit hämischem Hohn,
Der Priester will anheben seinen Sermon.
Der Ritter nimmt spöttisch den Helm vom Haupt
Und verbeugt sich noch einmal: Ihr erlaubt,
Daß wir Euch stören bei euerm Essen,
Bringt hurtig den Zehnten, den ihr vergessen,
Und euer Spruch ist ein Dreck:
Lewwer duad üs Slaav.
Da reckt sich Pidder, steht wie der Baum:
Henning Pogwisch, halt deine Reden im Zaum.
Wir waren der Steuern von jeher frei,
Und ob du sie wünscht, ist uns einerlei.
Zieh ab mit deinen Hungergesellen,
Hörst du nicht schon meine Hunde bellen?
Und das Wort bleibt stehn:
Lewwer duad üs Slaav!
Bettelpack, fährt ihn der Amtmann an,
Und die Stirnader schwillt dem geschienten Mann:
Du frißt deinen Grünkohl nicht eher auf,
Als bis dein Geld hier liegt zu Hauf.
Der Priester zischelt von Trotzkopf und Bücken,
Und verkriecht sich hinter des Eisernen Rücken.
O Wort, geh’ nicht unter:
Lewwer duad üs Slaav!
Pidder Lüng starrt wie wirrsinnig den Amtmann an,
Immer heftiger in Wut gerät der Tyrann,
Und er speit in den dampfenden Kohl hinein:
Nun geh’ an deinen Trog, du Schwein.
Und er will, um die peinliche Stunde zu enden,
Zu seinen Leuten nach draußen sich wenden.
Dumpf tönt‘s aus der Erde:
Lewwer duad üs Slaav!
Einen einzigen Sprung hat Pidder gethan,
Er schleppt an den Napf den Amtmann heran,
Und taucht ihm den Kopf ein, und läßt ihn nicht frei,
Bis der Ritter erstickt ist im glühheißen Brei.
Die Fäuste dann lassend vom furchtbaren Gittern,
Brüllt er, die Thüren und Wände zittern,
Das stolzeste Wort:
Lewwer duad üs Slaav!
Der Priester liegt ohnmächtig ihm am Fuß,
Die Häscher stürmen mit höllischem Gruß,
Durchbohren den Fischer und zerren ihn fort;
In den Dünen, im Dorf rasen Messer und Mord.
Pidder Lüng doch, ehe sie ganz ihn verderben,
Ruft noch einmal im Leben, im Sterben
Sein Herrenwort:
Lewwer duad üs Slaav!
v. Liliencron 2009.