Sankt Severin Am nördlichen Ortsrand von Keitum auf Sylt liegt die Sankt Severin-Kirche. Dendrochronologische Untersuchungen ergaben 2010, dass der Dachstuhl über Chor und Langhaus in das Jahr 1216 datiert werden muss. Auch die Apsis stammt mit einiger Sicherheit aus dieser Zeit. Damit ist Sankt Severin die älteste Kirche in Schleswig-Holstein. Auf einem Pergamentstreifen, der in einem Bleikästchen im Altar gefunden wurde, stehen die früheren Kirchenpatrone: Sankt Mauritius, Sankt Knut und Sankt Ketel. Letzterer wurde 1188 heiliggesprochen und war bis zu Beginn des 15. Jahrhunderts der Keitumer Schutzheilige. Dann wurde die Kirche Sankt Severin, einem Kölner Bischof des vierten Jahrhunderts, geweiht. Sie ist das größte und markanteste Gotteshaus auf Sylt.
Der spätgotische Turm stammt aus dem 15. Jahrhundert und wurde bis 1803 auch als Gefängnis genutzt. Den auf der Wattseite einlaufenden Schiffen diente er als Seezeichen. Die beiden Teile eines gespaltenen Findlings in der Westfront des Turmes tragen, wie eine Legende sagt, die Namen der beiden Stifterinnen Ing und Dung. Über die Herkunft der alten Glocke ist nichts bekannt. 1739 riss sie aus ihrer Halterung und erschlug einen Läutebuben. 1891 und 1907 wurde sie umgegossen. Die beiden anderen Glocken sind Schenkungen.
Äußeres Merkmal der Kirche ist der Granitsockel aus rötlichen Quadern an Schiff und Apsis. Die alten romanischen Fenster wurden Mitte des 19. Jahrhunderts durch Spitzbogenfenster ersetzt. 1885 erneuerte man auch das Dach auf Schiff und Chor. Ein zwischenzeitliches Schieferdach wurde 1991 wieder durch ein Bleidach ersetzt.
Im Inneren des spätromanischen Baus aus rheinischem Tuff sowie Granit und Backstein beeindruckt ein fünfflügeliger Schnitzaltar aus der Lübecker Imperialissima-Werkstatt des 15. Jahrhunderts. Im Mittelschrein befindet sich die Darstellung des „Gnadenstuhls“. Gottvater auf dem Thron hält den Leib des auferstandenen Christus. Links daneben ist die Muttergottes mit dem Christuskind zu sehen, rechts ein Bischof mit Krummstab. Die Seitenflügel zeigen die zwölf Apostel. Außen- und Innenseiten der aufklappbaren Flügel tragen Gemälde biblischer Szenen. Den Altaraufsatz schmückt eine Abendmahlszene von 1705.
Eine Überraschung erlebten Restaurateure in den 1980er-Jahren, als sie unter dicker brauner Ölfarbe auf der Rückseite des Altars kostbare mittelalterliche Tafelbilder freilegten. Mit großer Ausdruckskraft und Feinheit zeigen die Bilder eines unbekannten Meisters die Leidensgeschichte Jesu. Eine Inschrift von 1705 belegt das Datum ihrer Übermalung. Unbeabsichtigt ist so die Konservierung der Originalfarben gelungen, die in der ständig feuchten Kirche die Jahrhunderte sonst wohl nicht überstanden hätten.
Drei stattliche niederländische Kronleuchter aus Messing aus dem 17. Jahrhundert sind Stiftungen wohlhabender Sylter Kapitäne. Die Kanzel aus der Frührenaissance war 1580 von Graf Benedikt von Rantzau für die Kapelle des Schlosses Mögeltondern gestiftet worden. Pastor Jacob Cruppius (1637–1708) aus Keitum kaufte sie 1699 zum Preis von zehn Reichstalern für seine Kirche. Der romanische Taufstein aus gelbrotem Sandstein stammt aus der Bentheimer Gegend (11./12. Jahrhundert). Die Taufschüssel aus Messing spendete 1675 Jens Nickels, der Deckel von 1697 zeigt die Taufe Christi.
An der Südwand steht der „Müllerstuhl“, den 1769 der Munkmarscher Graupenmüller Nickels Jensen für seine Familie als ständigen Sitzplatz in den Gottesdiensten einrichten ließ. Vor 1544 diente er als Beichtstuhl. 1654 wurde ein Epitaph angebracht, das fünf Söhne und eine Schwiegertochter des verdienten Landvogts Frödde Frödden († 1635) zeigte. Es wurde 1972 aus der Kirche gestohlen und gilt seither als verschollen. Ein Nachfahre schenkte der Kirchengemeinde 1787 eine Orgel. Sie wurde 1895 wesentlich verändert und 1983 mit Ausnahme der hölzernen Prospektfront völlig neu erstellt. Mit Hilfe einer Millionenspende, eines Förderkreises und aus Konzerterlösen konnte 1999 ein neues Instrument aus der Werkstatt des Stuttgarter Orgelbauers Konrad Mühleisen finanziert werden. Es hat 4 000 Pfeifen in 46 Registern. Die alte Orgel wurde an die katholische Kirche Sankt Stanislaus in Posnan/Polen abgegeben.
Das Lutherbild an der Südwand schuf der Maler Andreas Dirks (1865–1922). Die marmorne Votivtafel zu Ehren der im Kriege 1848/50 gefallenen Soldaten ist eine Stiftung aus den Jahren 1864/65. Der Künstler Ernest Igl (1920–2001) fertigte die Plastik „Totengedenken“ und das „Auferstehungskreuz“ auf der Kanzel. Auf Wandtafeln sind die Prediger der Kirche verzeichnet. 1913 renovierte der Kunstmaler Franz Korwan-Katzenstein (1865–1942) den Innenraum der Kirche, dem 1985 aber wieder seine ursprüngliche hellgrüne Tönung zurückgegeben wurde.
Auf dem Kirchhof zeugen unter Denkmalschutz stehende Grabsteine mit ausführlichen Inschriften vom Leben der Inselfriesen, insbesondere von ihrer Zeit als Seefahrer. Auch finden sich die Grabmale einiger Sylter Landvögte sowie der Stein für die Familie Mungard. Die Namen auf den Grabsteinen lesen sich wie ein „Who was Who“ von Sylt; viele hervorragende Persönlichkeiten wie die Maler Otto Eglau (1917–1988), Magnus Weidemann (1880–1967), Carl Christian Feddersen (1876–1936), der CDU-Politiker Gerhard Schröder (1910–1989), der Verleger Peter Suhrkamp (1891–1959), der Musikkritiker Antonio Mingotti oder der Kunstschriftsteller Ferdinand Avenarius (1856–1923) und viele andere, die zumindest einen Teil ihres Lebens auf der Insel verbracht haben, fanden hier ihre letzte Ruhe. Bekannt ist die Kirche auch wegen der von Wilhelm Borstelmann (* 1927) eingeführten Abendkonzerte.
Bechthold 1996, Beseler 1969, Dannenberg 1987, Quedens 1980, Rinken 1992, Runge o. J., Sauermann 1939, Schmidt-Eppendorf 1977.