Friesische Sprache Friesisch ist eine eigenständige westgermanische Sprache und gehört wie das Altenglische zum Nordseegermanischen. Die Sprache gliedert sich in drei Zweige:
– Westfriesisch wird in der Provinz Friesland der Niederlande von etwa 500.000 Menschen gesprochen. Es weist nur relativ geringe dialektale Varianten auf, was die Entwicklung einer Standardsprache erleichterte, und ist in vielen Lebensbereichen vertreten.
– Ostfriesisch ist im eigentlichen Kerngebiet Ostfriesland, Bundesland Niedersachsen, schon vor Jahrhunderten dem Niederdeutschen gewichen, wird aber im Saterland, einer Gemeinde im oldenburgischen Landkreis Cloppenburg, von etwa 2.000 Menschen gesprochen.
– Nordfriesisch wird in Schleswig-Holstein von annähernd 10.000 Menschen gesprochen. Es besteht aus neun Dialekten, die sich in zwei Gruppen gliedern. Das Inselnordfriesische umfasst das Syltring (Sölring), das Föhring-Amring (Fering-Öömrang) und das Helgoländische (Halunder); zum Festlandsnordfriesischen gehören Wiedingharder (Freesk), Bökingharder (Frasch), Karrharder (Fräisch), Nordergoesharder (Fräisch, Freesch), Mittelgoesharder (Freesch) und Halligfriesisch (Freesk).
Das Eiderstedter Friesisch wurde im 17. Jahrhundert durch das Niederdeutsche verdrängt, dem die reichen Bauern ein höheres Sozialprestige zuschrieben. Das Friesische der großen Insel Alt-Nordstrand, das dem Halligfriesischen glich, ging mit und nach der Sturmflut von 1634 unter. Erst um 1980 starb das um Hattstedt gebräuchliche Südergoesharder Friesisch aus. Nur noch ganz vereinzelt gesprochen werden in der Gegenwart die Dialekte der Karrharde, der Mittelgoesharde und der Halligen. „Hochburgen“ des Friesischen sind die Gemeinde Risum-Lindholm auf dem Festland, insbesondere aber der Westen von Föhr.
Vor allem drei Ursachen haben die nordfriesische Dialektvielfalt herbeigeführt:
– Die Zweiteilung ins Insel- und Festlandsfriesische besteht schon von Anfang an und ist auf die beiden Einwanderungswellen des Mittelalters zurückzuführen. Die Abweichungen zwischen den Dialekten sind zumeist graduell. Das deutsche Wort ,Insel‘ z. B. heißt auf Sylt Ailön, auf Föhr und Amrum eilun, auf Helgoland Eelun, auf dem Festland ailönj, ailoun, ailöön usw. Es gibt jedoch auch erhebliche Unterschiede. Ein krasses Beispiel sind die friesischen Entsprechungen für ,Wange‘: auf Sylt Sjak, auf Föhr und Amrum sjuuk, auf Helgoland Suaak, auf dem Festland siik (= englisch cheek) bzw. für ,Tisch‘: auf Sylt Staal, auf Föhr und Amrum boosel (aus: bord-stall), auf Helgoland Taffel, auf den Halligen taafel, auf dem Festland scheew, sküuw (Scheibe).
– Es gab kein nordfriesisches Staatswesen, das vereinheitlichend hätte wirken können. Ebenso fehlte ein auf die ganze Region ausstrahlendes politisches, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum.
– Die einzelnen nordfriesischen Teilgebiete waren größtenteils durch Meeresarme oder sumpfige Niederungen voneinander getrennt und hatten verhältnismäßig wenig Verbindung miteinander. Man identifizierte sich stark mit der eigenen Harde, der eigenen Insel und auch mit dem eigenen Dialekt, den man jeweils für „das eigentliche“, „das reinste“ Friesisch hielt.
Die sprachliche Sonderstellung des Nordfriesischen wurde im Mittelalter durch einen erheblichen dänisch-jütischen Einfluss verstärkt, der auch den zentralen Wortschatz betraf. Selbst die dänische Verneinung ikke, ej wurde als ek, ei, ai für ‚nicht‘ in die meisten nordfriesischen Dialekte aufgenommen. Seit der frühen Neuzeit stand Nordfriesisch in Kontakt mit dem aufkommenden Niederdeutsch. In dieser Sprache waren 1426 bereits die nordfriesischen Landrechte aufgezeichnet worden. Mit der Reformation wurde sie zur Kirchen- und Schulsprache, bis in der Mitte des 17. Jahrhunderts Hochdeutsch an ihre Stelle trat. Es bildete sich eine Sprachbenutzung heraus, die Friesisch der Familie und dem nächsten Umkreis, Niederdeutsch der überörtlichen Kommunikation und Hochdeutsch dem „amtlichen“ Bereich zuordnete. Insbesondere im 20. Jahrhundert waren alle nordfriesischen Dialekte den über Medien, Schule usw. einströmenden hochdeutschen Einflüssen ausgesetzt.
In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Zahl der Nordfriesisch-Sprechenden mit 30.000 angegeben, im Jahr 1927 mit 16.000. Seitdem hat sie sich wohl noch einmal fast halbiert. Die Gründe für den Rückgang gleichen denen bei anderen europäischen Kleinsprachen. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das abgelegene Nordfriesland durch den Bau von Straßen, und Eisenbahnlinien für den Verkehr erschlossen. In den florierenden Tourismusorten hatte Friesisch einen schweren Stand und bald kaum noch Platz. Das moderne Zeitalter führte zu umwälzenden Veränderungen in schneller Folge. Die traditionellen Erwerbszweige Landwirtschaft, Handwerk, Seefahrt wurden an den Rand gedrängt und unterlagen einem erheblichen Wandel. Für diese Bereiche verfügte das Friesische über einen großen Wortschatz mit hoher Spezialisierung. Die neu aufkommenden Lebensbereiche dagegen waren hochdeutsch bestimmt, etwa die entstehenden größeren Verwaltungen, Behörden, militärischen Einrichtungen. Hochdeutsche Medien und Kommunikation nahmen enorm an Bedeutung zu, zunächst seit dem beginnenden 19. Jahrhundert die Zeitungen, seit den 1920er-Jahren das Radio, seit den 1950ern das Fernsehen und seit den 1990ern der Computer mit dem Internet. Die ursprüngliche Sprache der Region spielte hierin kaum eine Rolle. Die Mobilität nahm zu. Viele Menschen wanderten ab, im 19. Jahrhundert vielfach nach Übersee, dann großenteils in deutsche Großstädte. Der Fremdenverkehr führte hingegen viele Menschen von außerhalb ins Land. Die deutsche Niederlage im Zweiten Weltkrieg sorgte für einen Zustrom von vielen Tausend Flüchtlingen aus den Ostgebieten, die von der kleinen friesischen Sprachgemeinschaft nur zu einem geringen Teil integriert werden konnten.
Nordfriesisch hat sich erst relativ spät, seit dem beginnenden 19. Jahrhundert, zu einer Schriftsprache entwickelt. Im Verhältnis zur Sprecherzahl entstand eine recht umfangreiche und vielfältige friesische Literatur. Die friesischen Vereine setzten sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts für eine Berücksichtigung des Friesischen auch im öffentlichen Leben ein. In der Gegenwart wird an zahlreichen Schulen Nordfrieslands stundenweise friesischer Unterricht erteilt. An den Universitäten Flensburg und Kiel kann Friesisch studiert werden. Zentrale wissenschaftliche Einrichtung in Nordfriesland für die Erforschung und Förderung der friesischen Sprache und Kultur ist das 1965 eingerichtete Nordfriisk Instituut in Bredstedt, das u. a. eine Fachbibliothek unterhält und Veröffentlichungen herausgibt. In den Medien wird die Sprache sehr spärlich berücksichtigt. Der Norddeutsche Rundfunk strahlt regelmäßig nur drei Minuten wöchentlich auf Friesisch aus. In den Tageszeitungen des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags erscheint etwa monatlich eine Seite mit friesischen und niederdeutschen Artikeln.
Nordfriesisch ist eine der kleinsten Sprachen in Europa. Es gehört zu den durch die Europäische Sprachen-Charta geschützten Minderheitensprachen. Bei ihren Bemühungen wird die friesische Volksgruppe durch das Land Schleswig-Holstein und durch die Bundesrepublik Deutschland unterstützt.
Århammar 1967, 1976 u. 2000b, Munske 2001, Steensen 1989b, 2001a und 2006a, Steensen/Tadsen 2000.