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Nordfrieslandlexikon
Sagen

Sagen (fer.: saagen; frasch: sooge; sölr.: Staatjis; wied.: sooge) Es gibt eine Vielfalt von Sagen in Nordfriesland. Die Geschichten wurden in alter Zeit mündlich weitergegeben, vergessen, neu erinnert, eventuell auch übersetzt und wieder weitergegeben. Mit entsprechender Vorsicht ist deshalb nach dem „wahren Kern“ zu suchen. Gedruckt wurden sie zum großen Teil zuerst in dem von Karl Müllenhoff (1818–1884) herausgegebenen Werk „Sagen, Märchen und Lieder der Herzogtümer“. Bedeutende Männer aus Nordfriesland wie Theodor Storm (1817–1888), der Historiker und Nobelpreisträger Theodor Mommsen (1817–1903), Christian Peter Hansen (1803–1879), Knut Jungbohn Clement (1803–1873) oder Christian Johansen (1820–1871) hatten mit ihren Sammlungen von Volkserzählungen und eigenen Geschichten dazu beigetragen. Weitere Sammlungen veröffentlichten Hermann Lübbing (1901–1978) mit der Anthologie „Friesische Sagen“, Rudolf Muuß (1892–1972) mit seinen „Nordfriesischen Sagen“ sowie Jurjen van der (1943–2018) mit dem Buch „Der Ring im Fischbauch“.

Hexen und Zauberer, Zwerge und Riesen, Wiedergänger, Wasser- und Totengeister, Räuber und starke Männer sowie Weissager und geheimnisvolle Vorzeichen stehen im Mittelpunkt der alten Geschichten und Erzählungen. Die Zwerge sollen dabei immer die Nähe der Menschen gesucht haben. Wohl nahezu jedes Haus beherbergte „seinen“ Kobold. Deren Treiben reichte von Neckereien von Mensch und Tier bis zum Raub ungetaufter Kinder oder schöner Mädchen. Doch gab es auch gutmütige Gesellen, die bei entsprechender Behandlung gerne Mithilfe bei der Haus- oder Feldarbeit leisteten. Als Dank verlangten sie Brei oder Grütze, immer mit einem großen Stück Butter garniert. Zwei kannte Vertreter sind Nis Puk und Ekke Nekkepenn. Die Riesen dagegen sollen sich mehr mit sich selbst beschäftigt haben, meist indem sie sich bis auf den Tod bekämpften. Ihre Taten dienten vielerorts zur Erklärung großer Steine, Wälle oder Grabhügel.

Viele gruselige Geschichten handeln von den Wiedergängern oder „Gongern“. Zumeist waren dies Menschen, die zu Lebzeiten etwas verbrochen hatten wie Landfrevler, Selbstmörder, aber auch Mordopfer und ertrunkene Seefahrer, die dem Volksglauben zufolge im Grab keine Ruhe finden konnten und umgehen mussten. Andere Geschichten erzählen von unheimlichen Wahrsagern und Menschen mit dem „zweiten Gesicht“, darunter Hertje von Horsbüll und der Niebüller Glasermeister Boy Johannsen (um 1800). „Boy Spök“ verblüffte seine Mitmenschen mit haargenauen Voraussagen über Todesfälle und andere Begebenheiten.

Vor allem die Insel Sylt ist reich an prähistorischen Funden, Grabhügeln und Siedlungsstellen, zu deren Geschichte seriöse Überlieferungen und Quellen fehlen. Dieser Mangel an gesicherter Erkenntnis führte wohl dazu, dass mit einer vielfältigen Sagen- und Geschichtenflut versucht wurde, den nicht belegbaren Zeitraum mit Leben zu füllen. Als Hauptverantwortlicher für die meisten Geschichten, die als Sylter Sagenwelt bis in die Gegenwart transportiert wurden, muss der Chronist C. P. Hansen gelten. Weil die Volksüberlieferung auf der Insel seinem romantisch-politischen Verständnis nach nicht ergiebig genug war, konstruierte er die Sylter Vergangenheit u. a. aus Flurnamen und Kirchenbucheinträgen. Seine „Friesischen Sagen und Erzählungen“ (1858) sind auch durch die damaligen deutsch-dänischen Auseinandersetzungen beeinflusst. Zu Hansens Schöpfungen gehören u. a. die Helden Pidder Lüng und Lille Peer, aber auch die treuen Frauen Moiken Peter Ohm und Ose. In die Kategorie der Erklärungssagen fallen Ing und Dung und die Geschichten über Kirchen und Burgen. Schließlich wurden auch die Eulenspiegeleien eines Pua Moders sowie Schandtaten von See- und Strandräubern in fast glaubwürdige Erzählform gebracht.

Der Niebüller Regionalforscher Albert Panten (* 1945) zeigt, wie der Chronist C. P. Hansen bei der Erdichtung seiner mittelalterlichen Pidder-Lüng-Sage vermutlich vorgegangen ist: Aus dem Lister Flurnamen Jens’ Langtal, dessen Pendant der ebenfalls vorkommende Flurname Jens’ Kleintal ist, leitete Hansen Jens Lang(s) Tal ab und schuf daraus Jens Lüng, den Großvater von Pidder Lüng. Er soll den Untergang Alt-Lists überlebt und Mett, eine weitere Überlebende, geheiratet haben. Diese Tatsache erschloss der Chronist aus dem Hügelnamen Jensmettenberg. Die Flurnamen entstanden jedoch erst im 17. Jahrhundert und kommen als mittelalterliche Zeugnisse nicht in Frage.

C. P. Hansen 1858 u. 1875, Hubrich-Messow 2000, Jessel 2005, Jessen 1965, van der Kooi 1998, Lübbing 1977, Muuß 1992, Panten 2001f, Quedens o. J., Temming 1995, Wedemeyer 1988.