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Nordfrieslandlexikon
Navigationsschulen

Navigationsschulen (fer.: naawigatjuunsskuulen; sölr.: Stjüürmanskuulen) zum Erlernen der Grundlagen für das Kapitänspatent waren die entscheidende Grundlage dafür, dass auffallend viele nordfriesische Seeleute in die Position eines Schiffsoffiziers aufsteigen konnten. Im 18. Jahrhundert z. B. wurden 128 Föhrer Kommandeure allein auf niederländischen Schiffen gezählt.

Die Navigationsschulen hatten lange Zeit privaten Charakter und wurden von Pastoren, Lehrern, Kommandeuren oder Kapitänen geleitet. Solche Privatschulen gab es auf Föhr in Wyk, Boldixum, Wrixum, Nieblum, Oldsum, Süderende, Toftum und wohl auch zeitweise in den anderen Orten auf Föhr. Auf Sylt gab um 1780 in Westerland der ehemalige Kapitän Carsten Hansen (1730–1799) sein Wissen weiter. Es heißt, dass seine Schüler aus allen Orten der Herzogtümer herbeieilten. Eine bekannte Sylter Navigationsschule war auch die von Hans Peter Köster, die zuerst in List und ab 1838 in Tinnum angesiedelt war. Sein Sohn Peter Petersen Köster hatte bereits in Blankenese und Kiel als Navigationslehrer Erfahrung gesammelt, bevor er 1860 die väterliche Schule übernahm.

Die Lehrmittel der Navigation hatten ältere und erfahrene Seeleute vor allem aus den Niederlanden mitgebracht, Unterrichtssprache war Friesisch oder Niederdeutsch, im 18. Jahrhundert wohl auch Niederländisch. Zu den ersten Lehrern auf Föhr gehörte von etwa 1630 bis 1678 Richardus Petri (1597–1678), Pastor von Sankt Laurentii. Er verlangte keine Bezahlung für seine Lehrtätigkeit, stellte aber die Bedingung, dass bei ihm erworbenes Wissen uneigennützig weitergegeben werden musste.

Eine der berühmtesten Navigationsschulen entstand in Oevenum. Dort unterrichtete ab etwa 1720 Kommandeur Ocke Tückis (1688–1760). Sein Nachfolger wurde der Schullehrer Arfst Hansen (1716–1803), der viele Seeleute auch „aus weiter Ferne“, wie der Sylter Chronist Christian Peter Hansen (1803–1879) schrieb, zu Kost und Logis bei sich aufnahm. Ihm folgte Jann Jannsen Backer (1758–1843), der bis zu seinem 84. Lebensjahr gelehrt haben soll.

Bahne Asmussen (1769–1844) fügte in seinem 1828 erschienenen Navigationslehrbuch „Schiffahrtskunde zum Nutzen und Vergnügen, in Reimen ohne Tabellen“ den Sachverhalten Gedichte als Gedächtnisstützen hinzu. In dem Aufsatz „Nachricht von der Navigationsschule auf Föhr“ war 1798 in den Schleswig-Holsteinischen Provinzialberichten“ zu lesen, dass seit vielen Jahren die Föhringer für tüchtige und geschickte Seeleute gehalten wurden. „Hierzu hat gewiß die gute Gelegenheit, gründlichen Unterricht in der Navigation erhalten zu können, sehr vieles beigetragen. Von Anfang dieses Jahrhunderts an bis jetzt hat sich fast immer einer in jedem Dorfe gefunden, der im Winter Unterricht ertheilet hat.“ Sechs überlieferte und im Archiv des Dr.-Carl-Haeberlin-Friesen-Museums verwahrte Navigationshandschriften, darunter die von Nahmen Arfsten (1725–1794) verbesserte Handschrift „Schat-Kamer ofte Konst der Stuur-Lieden“ von Klaas de Vries (1662–1730), dokumentieren nachdrücklich, wie in den privaten Schulen junge Föhringer in großer Zahl den Übergang vom konventionellen Rechnen der Dorfschulen zur anspruchsvollen Navigationsrechnung vollzogen. Eine weitere Handschrift befindet sich im Archiv der Ferring Stiftung. Arfst Nickelsen (1732–1804), der eine Schule in Oldsum betrieb, überarbeitete die „Schat-Kamer“ grundlegend.

1797 gründete Hinrich Braren (1751–1826) in Wyk eine Navigationsschule mit königlicher Konzession. Sie wurde 1802 nach Tönning verlegt, da nun das Steuermannsexamen über einen vorgeschriebenen Ausbildungsweg erworben werden musste.

In preußischer Zeit gab es ab 1869 nur noch Unterricht an staatlichen Schulen. Zwei Prüfungen, die Steuermanns- und die Schifferprüfung, waren erforderlich, was die Ausbildung erheblich verteuerte. Im Unterschied zu früher wurde jetzt eine vierjährige Fahrtzeit vor dem Besuch der Schule verlangt, weitere Komplikationen entstanden durch die Aufhebung der Militärfreiheit und durch die wesentlich höheren Kosten bei einer Ausbildung fern der Heimat. So war es kaum noch möglich, vor dem 30. Lebensjahr Kapitän zu werden. Von 1870–76 legten 17 Föhrer die erste, aber nicht ein einziger die zweite Prüfung ab. Eine 1886 in Wyk eingerichtete Staatsnavigations-Vorschule musste nach wenigen Monaten wegen mangelnder Nachfrage wieder geschlossen werden. Diese Entwicklung trug wesentlich zur Auswanderung vieler junger Föhrer bei.

Braren 1980, Falk 1987, J. I. Faltings 2011 u. 2015, Feddersen 2001, Hansen 1877, Kühl 2005, Leistner/Tholund 1974, Nerong 1903.