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Nordfrieslandlexikon
Marienkirche

Marienkirche Die heutige, klassizistische Marienkirche am Markt von Husum ist relativ jung. Die Geschichte der ersten Marienkirche reicht hingegen bis in das Jahr 1431 zurück. Damals durfte Husum eine eigene Kapelle errichten. Im Jahre 1448 löste sich der aufstrebende Ort von der einstigen Hauptkirche der Südergoesharde in Mildstedt. Die dann bis etwa 1510 errichtete spätgotische Marienkirche mit ihrem schlanken, zeitweilig 95 Meter aufragenden Turm war ein imposantes Gebäude und bestimmte das Husumer Stadtbild. Der steigende Wohlstand sorgte dafür, dass sie mit zahlreichen Altären und Kunstschätzen ausgestattet wurde.

1807/08 wurde die alte Kirche wegen Baufälligkeit abgebrochen. Später kursierte das plattdeutsche Wort: „De Tönninger Torn is hoch un spitz. De Husumer Herrn hemm Verstand in de Mütz.“ Der Abriss gilt als einer der größten Verluste in der Architekturgeschichte Schleswig-Holsteins. Das wertvolle Inventar wurde größtenteils auf einer Auktion versteigert. Das von dem bedeutenden Bildhauer Hans Brüggemann (um 1480–um1540) geschaffene Standbild des Ritters Sankt Jürgen gelangte ins dänische Nationalmuseum nach Kopenhagen, sein Engel mit der Laute in die Staatlichen Museen Berlin. Der gotische Schnitzaltar ist im Schwabstedter Gotteshaus zu bewundern. Nur wenige Kunstschätze wurden in die neue Marienkirche übernommen, insbesondere die Taufe aus Messingguss von 1643, andere gelangten in das „Kloster“.

1808 entwarf der aus einer Husumer Familie stammende Königliche Baumeister Christian Frederik Hansen (1756–1845) einen Neubau im Stil des Klassizismus. Aus finanziellen Gründen konnte er erst 1829–33 ausgeführt werden. Die neue, erheblich kleinere Kirche blieb vielen Husumern lange ungeliebt.

Nach heutiger Beurteilung stellt die Marienkirche ein hochrangiges Bauwerk des nordeuropäischen Klassizismus dar. Der an ein Leuchtfeuer erinnernde Turm soll den Bewohnern der Nordseestadt und ihren Gästen christliche Orientierung geben. Die fünf zwischen 1505 und 1604 gegossenen Glocken stammen aus der alten Marienkirche. Streng gegliedert ist der wie ein Festsaal wirkende Innenraum. Aus den Stuhlreihen aufragende dorische Säulen deuten an, dass die Gemeinde die Kirche trägt. Der Mittelgang führt zu einem Portal, das reicher gegliedert ist als das am Eingang. Es symbolisiert den Zugang zur Welt Gottes. Im Zentrum stehen der Altar und darüber die Kanzel mit Gottes wachsamem Auge, das von einem Strahlenkranz umgeben ist. Das Portal wird überwölbt von einem Bogen, in dessen Mitte das Kreuz steht. Aus dem offenen Raum dahinter, also aus der Welt Gottes, scheint das Licht des Ostens. Durch aufwendige Restaurierungen hat die Kirche in den letzten Jahren ihre ursprüngliche Komposition zurückerhalten.

Das Gotteshaus umrahmen 40 Linden, deren Anordnung mit der Innengestaltung korrespondiert. Natur und Architektur stehen im Einklang miteinander.

Steensen 2014a.


In seiner kulturhistorischen Skizze „Von heut’ und ehedem“ lästerte Theodor Storm 1873 über die neue Marienkirche: „… anstelle des altehrwürdigen Baues stand jetzt ein gelbes, hässliches Kaninchenhaus mit zwei Reihen viereckiger Fenster, einem Turm wie eine Pfefferbüchse …“


Goldammer 1986, Mehlhorn 2016, Storm 1986.